Ich bin ein Berg
spärlich noch bewachsen
voller Geröll und Sand
aber widerstandsfähiger
Löwenzahn kämpft sich durch
und die gelben Blütenköpfe
schmücken die steilen unwirtlichen Hänge
und verleihen mir eine neue Pracht
die kräftigen Pfahlwurzeln
dringen in die Tiefe
Dort sieht es nicht so toll aus
Ich bin auf Müll gewachsen
Schicht für Schicht in langen Jahren
Ich wusste nicht wohin mit meinem Zeug
wegwerfen wollte ich mich nicht
und andere damit belasten
Also habe ich mich behalten
ohne Plan
kein Haus gebaut
nichts Nützliches zustande gebracht
sondern mich nur immer weiter aufgetürmt
bis man mich nicht mehr übersehen konnte
und rief jedem zu
der an mir vorüberging
sieh her
ich bin da
ich bin nicht nützlich
aber ich bin mir selber wahr
Dann habe ich aus der Not
eine Tugend gemacht
ließ mich befruchten
vom Wind
von Vögeln
und Getier
Ich lud alle ein mein Gast zu sein
und bei mir zu wohnen
Ich bin ein Berg
rühr mich nicht von der Stelle
hab festen Untergrund
strebe in den Himmel
Lass kommen wie es kommt
und lass das
was nicht mehr brauchbar ist
in meinem Bauch
zum festen Beiwerk werden
zu Halt und Gerüst
Wer graben will
gräbt
und findet mich auch
in der Tiefe gar nicht so unattraktiv
Irgendwas war da mal
und dort
man weiß es nicht genau
für was das eine oder andere
gut war oder schlecht
So wie ich jetzt bin
ist es mir recht
Ilona Haselbauer
Die Verwandlung
Das Leben an sich langweilt mich. Es ödet mich geradezu an. Der Alltagstrott, der Lärm um mich, der Gestank und vor allem die mürrischen Menschen.
Das einzige, was mich aus diesem tiefen Tal der Unzufriedenheit herausreißt, ist die Musik. Nicht irgendeine Musik, nein, es ist der Klang der Hirtenflöte, deren silbrige Töne sich in den Abendhimmel schwingen.
Eines Abends sitze ich im Wald auf einem knorrigen alten Baumstamm und lausche in die Stille. Da, ganz in meiner Nähe, höre ich sie plötzlich, diese glockenhellen Töne, die sich aufschwingen und verweilen, wie eine Kette mit Perlen, um dann wieder wie eine Wasserfontäne herabzufallen, um dann erneut jubilierend aufzusteigen. Die Töne reihen sich aneinander zu einer Melodie, die mich unendlich traurig macht.
Leise stehe ich auf und versuche den Flötenspieler zu finden, doch wie weit ich auch gehe, die Musik bleibt stets im gleichen Abstand zu mir. Langsam versinkt der Wald in Dunkelheit und ich weiß nicht mehr wo ich bin.
Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als Teil dieser Musik zu sein. Und plötzlich spüre ich ein heftiges Ziehen in meinem Körper. Ich schrumpfe, meine Haut wird hart und ich bin nicht mehr aus Fleisch und Blut.
Und ich fühle, wie ein Junge mich in seinen Händen hält, mich an seine Lippen führt und wie diese wunderbaren Töne aus mir kommen.
Ich jubiliere, denn nun bin ich es, ich bin die Hirtenflöte. Ich bin die glockenhellen Töne und ich bin Musik. Für immer.
Elisabeth Fischer
Die Texte entstanden in der kreativen Schreibnacht "Verwandlungen" am 11. Oktober 2016