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Hybris

Veröffentlicht am 19.01.2014

Ein Märchen für Erwachsenen von Doris Kronawitter

Vor langer Zeit lebte einmal ein kleines Mädchen zusammen mit seinem  Großvater, den es über alles lieb hatte, in einem kleinen Haus  vor einem dunklen Wald. Wenn das Mädchen des Morgens vor die Türe trat, stand es auf der grünen Wiese  mit den vielen Erdhügeln. Und unter jedem Erdhügel wohnte ein kleiner  Erdgeist. Seit Urzeiten wohnten die Erdgeister hier. Noch nie hatte sie jemand gesehen, doch das Mädchen wusste es vom Großvater und der Großvater wusste es von seinem Urgroßvater, dass sie die Hüter der Erde waren und  der Menschen, die hier wohnten. Das Mädchen wuchs heran und es kam die Zeit, da der Großvater es verlassen musste. Nun war das Mädchen mutterseelenalleine auf der Welt.

Wenn das Mädchen sich recht einsam fühlte, legte es sich auf den weichen Wiesengrund, schob vorsichtig die Hügel der Erde beiseite und rief die kleinen Erdgeister: „ Erdgeister, kleine, ihr Herrscher der Nacht, seid bei mir mit eurer Zaubermacht.“ Als es sein Leid der braunen Erde klagte, erklang aus dem Erdhügel geheimnisvolles Geraune. Des Mädchens Tränen , die im Wiesengrund versickerten, hoben die Geister der Erde auf und  formten daraus schimmernde Perlen. Sodann ließen sie die Blumen auf der Wiese in den üppigsten Farben erblühen. Der süße Duft, den sie verströmten, erfüllte Auserwählte mit Glück und Liebe, denn es waren Zauberblumen. Weil aber das  Haus, die Zauberwiese mit ihren Erdhügeln und den duftenden Blumen nur von Menschen entdeckt werden konnten, die guten Herzens waren, blieb der Weg zu diesem zauberhaften Ort den meisten Menschen verborgen.

Nun trug es sich zu, dass der König des Landes alt und schwach ward und an sein Ende dachte. Er bestimmte, dass sein ältester Sohn sein Reich erben sollte, seine beiden Töchter das Geschmeide, seinem jüngsten Sohn, den er am liebsten hatte,  aber vererbte er  ein Paar Pantoffel. Der jüngste Sohn setzte sich traurig nieder, betrachtete lange die Gabe, die ihm zuteil geworden war und sprach: „Na ihr alten Puschen, solltet ihr Galoschen des Glücks sein, so zeigt, was ihr könnt!“Alsdann schlüpfte er in die Schuhe, die sich wie von selbst  in Bewegung setzten. Es waren nämlich Zauberpantoffeln. Sie führten den Königssohn sogleich zu dem kleinen Haus mit der Blumenwiese und den Erdhügeln und  dem einsamen Mädchen. 

Weil aber die Zauberblumen gerade in diesem Moment in voller Pracht erblühten und ihren herrlichsten Duft verbreiteten, empfand der Königssohn eine so große Liebe zu dem Mädchen, dass er es nie mehr verlassen wollte. Nun begann eine glückliche Zeit voller Frohsinn und Heiterkeit. Die warmen Strahlen der Sonne, der goldene Glanz der Sterne, das weiße Licht des Mondes und das Brausen der Winde trug die Freude und das Glück über die Wipfel der Bäume bis zum Horizont. 

Dort, wo der Himmel die Erde berührt verbarg sich  jedoch Hybris, die Dämonin.  Sie war eine mächtige Zauberin von verführerischer Gestalt. Ihr Gesicht schien ebenmäßig und bleich, wie gemeißelter Marmor. Die smaragdgrünen Augen funkelten kalt in die Welt der Menschen. Aus ihrem Mund aber quoll eine Schlange, deren Gift die Herzen verhärtete. Seelenlos und böse war Hybris und voller Neid und Missgunst. Ihr Reich war die Zerstörung und Begierde. Und weil ihr unersättliches Verlangen nach Macht jegliches Glück vernichtete, hatten sie die Geister der Erde an das Ende der Welt verbannt. Als der  Nordwind nun das Glück des Mädchens und des Königssohns über die Weite des Himmels trug, erhob sich die Dämonin. Die Liebe der beiden Menschen entfachte ihren Zorn. Und sie schleuderte eine, mit dem Gift der Schlange getränkte Lanze mit der Kraft des Hasses nach dem kleinen Haus am Waldesrand. 

Die Lanze aber prallte ab, an dem unsichtbaren Schutzwall, den die Erdmännchen um das glückliche Paar errichtet hatten  und zersplitterte. Ein Splitter jedoch drang dem Königssohn mitten ins Herz. Von dieser Stunde an fühlte er eine große Sehnsucht und die Unzufriedenheit drang ein in sein Denken. Da fragte ihn das Mädchen: „Was ist Dir Geliebter? Warum geht dein Blick immer dahin, wo sich Himmel und Erde berühren?“ Da antwortete der Königssohn: „ Es ruft jemand nach mir . Ist mir das Herz auch schwer, so muss ich dich verlassen!“

Das Mädchen  herzte und küsste den Königssohn und flehte ihn an bei ihm zu bleiben. Weil es aber fühlte, dass eine unsichtbare Macht, den Geliebten bedrohte, klagte es wieder sein Leid den Erdmännchen: „Erdgeister kleine, ihr Herrscher der Nacht,  helft mir mit eurer Zaubermacht.“ Da tönte es aus der Erde: „Nur gute Mächte haben es benützt. Dies ist das Tuch der Liebe, das ihn schützt.“ Ein seidenes Tuch in den Farben der Zauberblumen lag neben den Erdhügeln Das Mädchen nahm es an sich und schnitt es in der Mitte durch. Die eine Hälfte band es sich um den Hals die andere Hälfte reichte es  dem Königssohn und sprach :  „Wenn du mich verlassen musst, werde ich dich suchen in der ganzen Welt und darüber hinaus. Nimm dieses Tuch mit dir, in dem unsere Liebe und der Duft der Zauberblumen eingewoben ist. Daran wirst du mich erkennen“

Als eine Zeit verstrichen war und das Verlangen des Königssohns nach der Ferne immer stärker wurde, machte er sich in der Dämmerung der untergehenden Sonne auf und ging fort. Da stieß Hybris triumphierend einen markerschütternden Schrei aus, der in die entlegensten Winkel der Erde drang. Die Welt stand  still und die Menschen blickten stumm vor Furcht zu dem Ort, wo Himmel und Erde sich berührten. Und wieder flehte das Mädchen  in seinem  Kummer die Erdgeister an : „Erdgeister ihr kleinen, Herrscher der Nacht, rettet mich mit eurer Zaubermacht!“

Die Erdmännlein aber hatten den guten Geist des Königssohnes eingefangen und einen Mantel daraus gefertigt, der nur für die Liebenden sichtbar war. Und als das Mädchen seine Hände in tiefstem Gram auf die kühle Erde legte, spürte es, wie sich dieser Geist und die Liebe des Königssohns wie ein Mantel um es legte und ihm Kraft verlieh. Aus der Erde aber  quollen sieben schimmernde Perlen  und der Geist der Erde sprach sodann: „Nimm, diese Perlen, die du einst als Tränen geweint hast und  lege sie des nachts um dich. Das Licht des Mondes und der Glanz der Sterne wird auf sie fallen und die Gestirne des Himmels werden sodann dem Geliebten dein Sehnen kund tun. Lege den Mantel um deine Schultern, auf dass die Strahlen der Sonne ihn erwärmen und dir Schutz verleihen. Schlüpfe in die Zauberpantoffel, das Vermächtnis des  alten Königs an seinen jüngsten Sohn, der seinem Herz am nächsten war. Nun mache dich getrost auf, den Geliebten zu suchen.“

Da erhob sich das Mädchen, stieg in die Pantoffel und ließ die Zauberblumenwiese, das alte Haus und den vertrauten Wald hinter sich. Die Pantoffel führten es in die Weite des Landes, an den Ort, wo  der Himmel die Erde berührt. Das Mädchen ging Tag und Nacht ohne sich Ruhe zu gönnen. Nur manchmal sank es erschöpft  nieder und fiel in einen kurzen traumlosen Schlaf, den die Geister der Erde bewachten. Die sieben  Perlen aber legte das Mädchen um sich, auf dass sich Mond und Sterne in ihnen spiegelten.

Der Königssohn hatte  das Reich der Zerstörung und Begierde nahezu erreicht,  wo ihn die Dämonin bereits erwartete.  Da fiel das weiße Licht des Mondes und der  Glanz der  Sterne auf ihn. Sie trugen die Tränen des Mädchens in sich und der Königssohn fühlte die Trauer und den Schmerz der Geliebten.  Es überkam ihn eine so große Sehnsucht, dass er zum Mond sprach: „Nimm mich auf und trage mich zu ihr, damit ich sie trösten kann“  Doch Hybris streckte bereits ihre alabasterweißen Arme nach ihm aus und höhnte: „Viel zu nahe bist du meinem Zauberreich schon. Die Rückkehr ist dir für immer verwehrt“

Das Licht des Mondes nahm jedoch das Bild des Königssohns und seine Worte mit sich und  brachte sie dem Mädchen. Der Königssohn sprach zu dem Mädchen: „Sei getrost, meine Liebe zu dir ist unsterblich. Ich kann nicht zurückkehren, zu stark ist die Macht der Dämonin, doch werde ich dich erwarten und ich werde bei dir sein, bis du mich gefunden hast. Dann hat Hybris keine Gewalt mehr über uns.“ Da hüllte sich das Mädchen in den wärmenden Mantel und setzte seine Reise fort. Es durchstieg das Gebirge der Verzweiflung, um  Ausschau nach dem Geliebten zu halten. Die guten Winde begleiteten es durch die Wüste der Trostlosigkeit und hauchten  ihm zu: „ Hab Mut, das Gestern gleichet nie dem Morgen, bald kommt das Ende deiner Sorgen“

Ruhelos wanderte es durch das weite Land der Trauer und streckte seine Arme der Sonne entgegen. Mit ihren warmen Strahlen streichelte diese das Mädchen und erwärmte den Mantel der Liebe, der es umgab. Als es an dem Meer der Sehnsucht ankam und sein Spiegelbild in den kräuselnden Wellen des Wassers erblickte erschrak es. Das einst glänzendes Haar war ergraut, die Augen von den vielen Tränen trüb geworden und die Haut war vor Kummer fahl und faltig. „ Wird er mich denn erkennen, wenn ich ihn gefunden habe?“ fragte es die Wellen. Und sie antworteten ihm: „ Die Liebe sieht in dein Herz, drum gräme dich nicht, ob der Spuren deines Schmerz.“ Viele Jahre war das Mädchen gegangen, bis es endlich an das Ende der Welt kam. 

Die Dämonin aber umgarnte den Königssohn und lockte ihn mit schmeichelnden Worten , ihr Reich zu betreten.  Nur wenn es ihr gelang, die Liebe  eines Mann, der guten Herzens war  zu gewinnen, wurde der Zauberbann der Erdgeister gebrochen  und Hybris konnte zurückkehren in die Welt der Menschen. Der Königssohn  aber verharrte an der Stelle, wo Himmel und Erde sich berührten, denn er  trug den Splitter der vergifteten Lanze in seinem Herzen und die Wunde gärte und das Gift breitete sich in seinem Körper und seiner Seele aus. Und weil dies das Gift der  Schlange war, die die Dämonin in ihrem Munde trug, konnte der Königssohn keine Liebe mehr empfinden. Das Gift verhärtete sein Herz. Als die böse Zauberin erkannte, dass  sie keine Erlösung finden konnte, befahl sie der Schlange:“ Nimm das Gift zurück und befreie den Königssohn, auf dass der Bann durch seine Liebe gebrochen wird.“ Doch die Schlange antwortete:“ Das kann nur geschehen, wenn du mich aus deinem Herzen reißt, aus dem ich erwachsen bin. Das wird unser beider Ende sein, deine Zauberkraft wird schwinden, dein Dasein in glühender Asche verfallen.“ Da wußte Hybris, dass sie die Macht der Liebe nicht beherrschen konnte. Sie packte voll des Hasses die Schlange und riss sie aus ihrem Herzen.

Und gerade als dies geschah, hatte das Mädchen den Ort erreicht, wo sich Himmel und Erde berührten. Es fand den Geliebten, der es nicht erkannte. Da berührte ihn das Mädchen mit seiner Hälfte des Tuches, in dem die Erinnerung und die Liebe eingewoben waren und  der Königssohn erwachte aus seiner Erstarrung. Als das Mädchen  den Mantel der Liebe um ihn legte, zerfiel die Dämonin Hybris samt ihrer Schlange in glühende Asche. Der Königssohn und das Mädchen blieben da, wo sich Himmel und Erde berühren und lebten fortan in der unendlichen Liebe und der Glückseligkeit.

 

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