Vogelgezwitscher
Er bringt sich in Position
Er prüft seine Wirkung
Er rückt noch ein bisschen vor
Er wartet auf den richtigen Moment
Er bläht sich das Bäuchlein auf
Es streckt sich das Köpfchen
Es legen sich die Flügel an
Doch dann geht es los wie ein sich entfachendes Feuer im Wald
Vogelgezwitscher
Federblaues Hüpfeding in birkenweißer Zackenpracht
Hellgrüne und signalrote Spitzen
Spritzen eine lindgrüne Fontäne in das laue Himmelsblau
Vogelgezwitscher ist wie der Blick
in das überfüllte Wartezimmer eines Internisten für verstimmte Musikinstrumente
Wie eine Wasserfontäne, die in sich zusammenfällt
Um dann erneut aufzusteigen
Und in vielen tausend einzelnen Tröpfchen zu Boden zu fallen
Wie ein üppiges Collier, aus dem einzelne Steine hervorstechen
funkelnde Brillanten, schimmernde Opale
dazwischen das eine oder andere unscheinbare Silberkügelchen
Jeder Stein schön für sich
doch erst Seite an Seite ein wunderbares Unikat
Vogelgezwitscher ertönt und leuchtet wie die blinkenden Lichter
an der Fassade eines Kaufhauses im Abendrot
Sommergewitter
Es ist klebrig und heiß
Es drückt heraus den Schweiß
Die Anspannung kribbelt durch den Körper
Und dann zuckt alles befreit zusammen
Und eine angenehme Kühle breitet sich aus
Sommergewitter fühlt sich an wie die Berührung eines Gewehrlaufs
Während sich des Schützen Finger krümmt
Der Donner lässt mich zusammenzucken
Automatisch fange ich an zu zählen
21, 22, 23…bei 29 zucke ich erneut zusammen
Ein Blitz zerschneidet vor mir den Himmel
Heiß fühlt es sich an, wenn es loszischt wie ein Dampftopf
und du öffnest den Deckel und verbrennst dir die Finger
spürst, wie dir die schwüle Luft ins Gesicht klatscht
und Hals über Kopf entweicht
und es wird kühler
als ein frischer Windhauch deine Wangen küsst
Das Gewitter naht wie eine tanzende Nähmaschinennadel
Die im Zickzack
Über dämmerblaue Seide zuckt.
Geballte Energie krallt sich in den Leib, stachelig zuckend
schmerzende beklemmende Schwere
Entgegen prallender Sturmeswind zerzaust, streichelt und braust
Krampfendes Zucken erstarrt und wird zu triefend nassen Nadelspitzen
Eine aufblühende Rosenknospe
Schmeckt wie Blut im Mund des Vampirs nach allzu langer Hungerzeit
Die Rosenblätter breiten sich immer weiter aus
Ich fühle ihren samtigen Geschmack auf der Zunge
Zart schmeckst du, Rosenrot
wie ein duftiger Rosé, den ein Hauch von Lavendel umweht
Beim ersten Schluck bist du noch ganz schüchtern
nur ein mineralischer Zungenstupser
Doch dann öffnest du dich mit jedem Nippen
bis du wie eine Walderdbeerenbombe im Mund explodierst
Nach wildem Honig schmeckt die Knospe
nach Zuckerwatte und feinem Engelshaar
Zartbittere Schokoblättchen in Creme getaucht
Mit süßer Sahne und Vanillecreme
Gestrichen auf locker leichtem Biskuit, getränkt mit mildem Rum
Belegt mit eierlikörgetränkten Rosinen
sahnigen Windbeutelchen und klebrig süßen Cocktailkirschen
Sie schmeckt verführerisch zart
Sinnlich weich wie eine Komposition aus Wasser, Blume, Wind und Sonne
Sonnenaufgang morgens um 4.30 Uhr
Über die Baumwipfel sehe ich die Sonne heraufklettern
Der ganze Himmel strahlt rosa
Der Geruch nach feuchter kühler Luft dringt mir in die Nase
Es riecht nicht mehr noch nicht
Nicht mehr nach dem Gestern, der Nacht
den Zigaretten, dem Wein, dem nahen Atem des anderen
nicht mehr nach Abenteuer und Kerzen
Und noch nicht… noch nicht nach Morgen
nach Tag, nach frischem Gras und Kaffee und den Backstuben
Meine Nase ist leer.
Es riecht nach dem Rauch der ausgetretenen Glut
Nach rosafarbener Asche und sanft verkohlenden Lavendelblüten
Es riecht wie verkohlter Alptraum und fliehende Angst
Leichtes Modern weicht der feuchten Frische
Es riecht nach Gras, nach Schnee, nach Regen, nach Hitze.
Es duftet nach Meer und frischer Luft
Das Aroma der Bäume und des Salzes wird immer stärker
bis es mich ganz durchströmt
Sonnencreme auf der Haut
wie ein Vogelschiss auf der Teakholzbank
ein Batzen, der dort nicht hingehört
sich beim Verwischen verflüchtigt
Aber doch immer noch da ist, verkleckert, verschliert, verweißt.
Sonnencreme auf der Haut
Wie der Piz Palu mit seiner eisigen Schneehaube
So thront der weiße Klecks hoch aufgetürmt
Auf rotbraunem Wüstensand
Steil ragend die glänzenden Wächten auf
Bevor sie sanft in der Sonne zerfließen und eine silberne Spur hinterlassen
Die glitzernd jede Hautschuppe umschließt
Wie ein Juwel
Glänzend fettig
Milchig weiß und fleckig rot
Panade auf der Haut
Panierte Schnitzel am Strand
Ein riesiger Klecks, der langsam flacher wird
Und glänzt wie ein frisch mariniertes Hähnchen
Bläulich schimmert‘s wie Kunsteis
Kurz bevor die Schlittschuhläufer
In die Halle strömen
Kreise, Linien, Startbahnen, Ufo-Landeplätze
Und immer wieder Veränderungen
Alles kann entstehen beim Einkremen eines Rückens
Dann noch einmal großzügig darüber gewischt
und alles Aufregende ist verschwunden
Nur noch ein Rücken
mit Sonnencreme.
Von Joachim Biedermann, Elisabeth Fischer, Gesine Hirtler-Rieger, Doris Kronawitter, Kathrin Niemela, Ulrike Roll
Dieser Text entstand in der kreativen Schreibnacht "Mit allen Sinnen" im Juli 2014